gradienta-bKESVqfxass-unsplash.jpg

Blog

Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Anspruch auf Zeugniskorrektur wegen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot

„Über Zeugnisse streiten wir uns nicht.“ „Da sind wir emotionslos.“ So oder so ähnlich hört man es oft von Arbeitgeberseite oder deren rechtlichen Vertretern im Rahmen von Verhandlungen über Trennungen. Auch wenn das häufig oder überwiegend der Fall sein mag, kommt es dennoch immer wieder zu Streitigkeiten über Zeugnisinhalte. Interessanterweise betrifft dies mitunter sogar Fälle, in denen die Parteien sich in einem Aufhebungsvertrag oder einem gerichtlichen Vergleich bereits auf eine Note für die Leistungs- und Führungsbeurteilung verständigt haben und dem Arbeitnehmer womöglich sogar das Recht eingeräumt wurde einen eigenen Entwurf vorzulegen von dem die Arbeitgeberseite nur aus wichtigem Grund abweichen darf. Diese Fälle scheinen zwischenzeitlich sogar zuzunehmen.

In einem Urteil vom 6. Juni 2023 hatte sich das Bundesarbeitsgericht (9 AZR 272/22) mit der Frage zu befassen, ob und inwieweit ein Arbeitgeber bei Korrektur eines Zeugnisses vor dem Hintergrund des Maßregelungsverbotes an in vorhergehend erteilten Zeugnissen enthaltene Formulierungen gebunden ist, insbesondere verpflichtet ist, eine Dankes- und Wunschformel aufzunehmen.

Um was genau ging es in dem Verfahren?

Die Klägerin war bei der Beklagten von August 2017 bis Februar 2021 zunächst als “Persönliche Assistentin der Geschäftsführung” und zuletzt als “Managerin of Administration and Central Services” beschäftigt. Die Klägerin hat das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung beendet.

Im März 2021 erteilte die Beklagte der Klägerin ein Arbeitszeugnis (“erstes Arbeitszeugnis”), dessen letzter Absatz lautet: “Frau D verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch. Wir danken ihr für ihre wertvolle Mitarbeit und bedauern es, sie als Mitarbeiterin zu verlieren. Für ihren weiteren Berufs- und Lebensweg wünschen wir ihr alles Gute und auch weiterhin viel Erfolg.” Im April 2021 forderte die Klägerin die Beklagte auf, das Arbeitszeugnis zu korrigieren und dabei ihr Arbeits- und Sozialverhalten besser zu bewerten. Das daraufhin geänderte Arbeitszeugnis (“zweites Arbeitszeugnis”) enthält den Satz: “Insgesamt waren ihre Arbeitsergebnisse von guter Qualität …” Die Klägerin beanstandete diese Passage mit der Begründung, dass die positive Aussage durch die Verwendung des Wortes “insgesamt” unzulässig eingeschränkt werde und begehrte darüber hinaus weitere Korrekturen. Die Beklagte änderte das Arbeitszeugnis ein zweites Mal (“drittes Arbeitszeugnis”), das danach wie folgt endet: “Frau D hat ihre Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt und unseren Erwartungen in jeder Hinsicht optimal entsprochen. … Frau D verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch.”

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Aufnahme der in den ersten beiden Zeugnisfassungen erteilten Dankes- und Wunschformel. Sie vertritt die Auffassung, dass die Beklagte sich diesbezüglich mit der Erteilung der ersten beiden Zeugnisse gebunden habe. Mit ihrer Weigerung, das dritte Arbeitszeugnis entsprechend zu korrigieren, verstoße die Beklagte gegen das arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot.

Demgegenüber vertritt die Beklagte die Auffassung, dass sie nur im laufenden Arbeitsverhältnis an das Maßregelungsverbot gebunden sei, nicht aber nach dessen Beendigung. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine Dankes- und Wunschformel in einem Arbeitszeugnis, zumal diese nur ein subjektives Empfinden des Arbeitgebers beinhalte, das sich nach Erteilung eines Zeugnisses auch ändern könne, was der Aufnahme einer solchen Regelung auch entgegen stehe.

Entscheidung der Vorinstanzen

Das Arbeitsgericht Braunschweig hat der Klage auf Zeugnisberichtigung stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde durch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen abgewiesen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Die gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (Urteil vom 12.07.2022 – 10 Sa 1217/21) gerichtete Revision der Beklagten wurde durch das Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung, sah auch das Bundesarbeitsgericht die Klage als begründet an und bejahte eine Verpflichtung der Beklagten gemäß § 612a BGB, der Klägerin das Arbeitszeugnis unter Einschluss der begehrten Schlusssätze zu erteilen.

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte zwar zunächst nochmals seine bisherige Rechtsprechung, wonach ein Arbeitnehmer aus § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO keinen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf Aufnahme einer Dankes- und Wunschformel in ein Zeugnis herleiten kann. Es stellte klar, dass weder die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 2 Abs. 1, Art 12 Abs. 1 GG noch das in § 241 Abs.2 BGB verankerte Rücksichtnahmegebot es rechtfertigen würden, die Regelung des § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO über ihren Wortlaut hinaus auszulegen und den Arbeitgeber zu verpflichten, über den geschuldeten Zeugnisinhalt hinaus Dank zu bezeugen und Wünsche für die berufliche Zukunft zu formulieren (vgl. im Einzelnen BAG, Urteil vom 25. Januar 2022 – 9 AZR 146/21 – Rn. 12 ff. und 21 ff.).

Das Bundesarbeitsgericht führt sodann jedoch weiter aus, dass sich eine Verpflichtung zur Änderung des Zeugnisses aus dem Verbot der Maßregelung (§ 612a BGB) ergebe, dass es der Beklagten verwehre, in dem dritten Arbeitszeugnis von den Schlusssätzen des ersten und zweiten Arbeitszeugnisses abzuweichen.

Gemäß § 612 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Bei Verletzung des Maßregelungsverbotes könne der Arbeitnehmer die Beseitigung der Benachteiligung verlangen und dass er so gestellt werde, wie er ohne die Maßregelung stände (vgl. BAG, Urteil vom 15. September 2009 – 9 AZR 685/08 – Rn. 40).

Zur weiteren Begründung führte das Bundesarbeitsgericht aus, dass die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit des Arbeitgebers zwar bei der Auslegung des § 612a BGB zu berücksichtigen sei, diesem aber nicht das Recht gebe, die berechtigte Remonstration des Arbeitnehmers zum Anlass zu nehmen, das Arbeitszeugnis zu dessen Nachteil zu ändern. Die Norm des § 612 a BGB regele einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit (vgl. BAG, Urteil vom 27. September 2022 – 2 AZR 5/22 – Rn 14). Weder die Rechtsordnung im Allgemeinen noch die auf Seiten des Arbeitgebers zu berücksichtigenden Grundrechte der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und Unternehmerfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) würden aber ein sittenwidriges Verhalten im Rechtsverkehr schützen.

Das Bundesarbeitsgericht stellt sodann weiter klar, dass der Anwendungsbereich des Maßregelungsverbots auch nicht nur auf das laufende Arbeitsverhältnis beschränkt sei, sondern auch nach dessen Beendigung zu beachten sei, insbesondere im Bereich des Zeugnisrechts. Das Maßregelungsverbot hindere den Arbeitgeber insoweit daran, vom Arbeitnehmer nicht beanstandete Teile des Arbeitszeugnisses grundlos über die zu Recht verlangten Berichtigungen hinaus zu ändern (vgl. BAG, Urteil vom 21. Juni 2005 – 9 AZR 352/04; BAG, Urteil vom 10 Mai 2005 – 9 AZR 261/04).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 612a BGB lägen auch vor. Soweit das Landesarbeitsgericht festgestellt habe, dass die Beklagte die Klägerin wegen ihres wiederholten Wunsches, die von ihr zuvor erteilten Arbeitszeugnisse zu ändern, sanktioniert habe, indem sie darauf verzichtet habe, in das dritte Arbeitszeugnis die zuvor verwendete Dankes- und Wunschformel aufzunehmen, sei vom Senat nur eingeschränkt zu überprüfen. Einen Verstoß gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze sah das Bundesarbeitsgericht vorliegen jedoch nicht.

Nachdem das Landesarbeitsgericht rechtfehlerfrei davon ausgegangen sei, dass die Beklagte die Klägerin gemaßregelt habe, braucht der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob die Klägerin bereits unter dem - alleinigen - Gesichtspunkt der Selbstbindung der Beklagten einen Anspruch auf die begehrte Zeugnisformulierung habe.

Das Bundesarbeitsgericht wies in diesem Zusammenhang gleichwohl darauf hin, dass der Arbeitgeber grundsätzlich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an den Inhalt eines erteilten Zeugnisses gebunden sei. Von seinen Wissenserklärungen zum Verhalten oder der Leistung des Arbeitnehmers könne der Arbeitgeber somit nur dann abrücken, wenn ihm nachträglich Umstände bekannt werden, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen (vgl. allg. zur Selbstbindung des Arbeitgebers BAG, Urteil vom 21. Juni 2005 – 9 AZR 352/04 - zu I 2 der Gründe). In gleicher Weise könne der Arbeitgeber - soweit er ursprünglich eine Schlussformel erteilt hat - an den Ausdruck persönlicher Empfindungen, wie Dank, Bedauern oder gute Wünsche für die Zukunft, gebunden sein (vgl. BAG, Urteil vom 11. Dezember 2012 – 9 AZR 227/11 – Rn. 19).

Bewertung für die Praxis

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stärkt die Rechte der Arbeitnehmer bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Zeugniskorrektur. Das Bundesarbeitsgericht konkretisiert seine bisherige Rechtsprechung weiter und macht es Arbeitgebern nunmehr deutlich schwerer, über die begehrten Änderungen hinaus von sich aus vom Arbeitnehmer nicht gewünschte Anpassungen bzw. Streichungen im Vergleich zu einem vormals erteilten Zeugnis vorzunehmen. Damit wird der leider nicht nur vereinzelt zu beobachtenden Praxis bestimmter Arbeitgeber, ehemalige Arbeitnehmer nach der Geltendmachung von Ansprüchen auf Zeugniskorrektur mit Verweis darauf, dass man dann schon insgesamt bei „der Wahrheit“ bleiben müsse „abzustrafen“ deutlicher Einhalt geboten.

Henning Meier