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Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Durchsetzung einer Betriebsratsschulung durch einstweilige Verfügung

Das Betriebsverfassungsgesetz regelt in § 37 Abs. 6, dass der Arbeitgeber Betriebsratsmitglieder unter Fortzahlung ihrer Vergütung von der Arbeitsleistung freistellen muss, wenn diese nach dem Beschluss des Betriebsrats an einer Schulungsveranstaltung teilnehmen sollen, die Kenntnisse vermittelt, welche für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Diese Kostentragungspflicht des Arbeitgebers umfasst darüber hinaus die Gebühren für diese Seminare und im erforderlichen Umfang auch die Reise- und Übernachtungskosten.

Nicht selten sind Arbeitgeber und Betriebsrat allerdings unterschiedlicher Auffassung, welche Kenntnisse erforderlich und ob Reise- sowie Übernachtungskosten tatsächlich notwendig sind. Selbst wenn der Arbeitgeber den Inhalt einer konkreten, vom Betriebsrat beschlossenen Schulung nicht in Frage stellt, so gibt es doch regelmäßig Diskussionen darüber, ob nicht ein anderer, gleichwertiger Anbieter dieselben Themen in ausreichend zeitlicher Nähe vor Ort schult, so dass wenigstens keine Reise- und Übernachtungskosten anfallen.

Sofern in diesen Fragen keine Einigung erzielt werden kann, stellt sich für den Betriebsrat immer wieder die Frage, wie er seinen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber so rechtszeitig durchsetzen kann, dass die Teilnahme an der begehrten Schulung nach dem gerichtlichen Erfolg auch noch möglich ist. Denn bekanntermaßen dauern arbeitsgerichtliche Verfahren im normalen Verlauf mehrere Monate; insbesondere dann, wenn eine rechtskräftige Entscheidung angestrebt wird, für welche womöglich nach dem Arbeitsgericht noch das Landesarbeitsgericht entscheiden muss.

Wird deswegen im Eilverfahren eine einstweilige Verfügung angestrebt, kann der Betriebsrat nur dann Erfolg haben, wenn die Gerichte der ersten und ggf. auch zweiten Instanz eine besondere Schutzbedürftigkeit anerkennen. Trotz des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs im Eilverfahren muss das Gericht davon überzeugt sein, dass der Anspruch des Betriebsrats besteht und eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben ist.

Vor kurzem hat das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) nun einen entsprechenden Fall entschieden und dabei betont, wie weitreichend aus seiner Sicht der Entscheidungsspielraum des Betriebsrats in den Fragen der erforderlichen Schulungsinhalte und der notwendigen Reise- und Übernachtungskosten ist, die ggf. aus der Entscheidung für einen bestimmten Anbieter folgen.

Hessisches LAG vom 6. November 2023 (16 TaBVGa 179/23)

Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:

Der Betriebsrat hatte am 5. Oktober 2023 den Beschluss gefasst, seinen Vorsitzenden zur Teilnahme an Schulungsveranstaltungen zum Thema „Betriebsratsvorsitzende und Stellvertreter Teile 1-3“ vom 7. bis 10. November 2023, vom 20. bis 23. November 2023 und vom 18. bis 21. Dezember 2023 in drei verschiedenen Städten zu entsenden.

Der Vorsitzende war bereits viele Jahre Mitglied des Betriebsrat, hatte schon einmal den stellvertretenden Vorsitz inne und war seit dem Jahr 2018 als Vorsitzender im Amt. Im Rahmen des Beschlussverfahrens trug der Arbeitsgeber diesbezüglich umfangsreich vor, welche Schulungen (unter anderem Betriebsverfassungsrecht Teile 1-3, Arbeits- und Gesundheitsschutz Teile 1-3 sowie Arbeitsrecht für Betriebsräte Teil 3) und insbesondere welche umfangreichen praktischen Erfahrungen der Vorsitzende im Rahmen seiner langjährigen Betriebsratstätigkeit erlangt hat (unter anderem Vereinbarungen über Betriebsvereinbarungen, Dienstpläne, Einigungsstellen, Monatsgespräche, Betriebsratssprechstunden usw.).

Bei dem beteiligten Arbeitgeber handelte es sich um ein Konzernunternehmen der Unternehmensgruppe Stadtwerke, das Dienstleistungen im Personennahverkehr mit Omnibussen erbringt und 80 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitgeber beabsichtigte zum Zeitpunkt der hier vorgestellten Entscheidung, den betroffenen Betrieb in einen anderen, größeren einzugliedern. Obwohl wegen dieser geplanten Betriebsänderung beim LAG noch ein Verfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle anhängig war, ging der Arbeitgeber davon aus, die Amtszeit des Vorsitzenden werde perspektivisch enden, weswegen die beschlossenen Schulungen nicht erforderlich seien. Abgesehen davon, fehle die vom Gesetz geforderte Erforderlichkeit aus deswegen, weil der Vorsitzende auf Grund seiner bisherigen Betriebsratstätigkeit bereits über die notwendigen Kenntnisse verfüge. Zudem war aus Sicht des Arbeitgebers die Wahl des Seminarveranstalters nicht nachvollziehbar, da ein anderer Veranstalter dieselben Themen zeitnah vor Ort schule und Reise- sowie Übernachtungskosten durch die Auswahl dieses Anbieters vermeidbar wären.

Auf Antrag des Vorsitzenden und des Betriebsrats entschied das Arbeitsgericht Frankfurt am 1. November 2023 zu deren Gunsten und verurteilte den Arbeitgeber im einstweiligen Verfügungsverfahren zur Kostenübernahme. Der Rechtsanwalt des Arbeitgebers legte am nächsten Tag gegen diesen Beschluss Beschwerde ein und begründete diese am 3. November 2023 abschließend. Drei Tage später entschied das LAG erneut zu Gunsten des Betriebsrats und seines Vorsitzenden.

Eilbedürftigkeit gegeben

Obwohl der Vorsitzende dieses Amt schon seit dem Jahr 2018 inne hat und deswegen nach Auffassung des Arbeitgebers die im Streit stehenden Schulungen längst absolviert haben müsste, sah das LAG zunächst die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendige Eilbedürftigkeit als gegeben an. Die Eilbedürftigkeit sei immer bezogen auf die jeweilige Schulungsveranstaltung, an der das Betriebsratsmitglied teilnehmen möchte, festzustellen. Dies sei der Streitgegenstand, um den es vorliegend gehe, und bezogen hierauf sei die Eilbedürftigkeit zu bejahen.

Erforderlichkeit der Schulung

Das Arbeitsgericht habe zutreffend erkannt, dass die Erforderlichkeit der Schulung im Sinne von § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG gegeben sei. Es sei zu Recht von einer Spezialschulung für eine bestimmte Zielgruppe (Betriebsratsvorsitzende und Stellvertreter) ausgegangen.

Die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahmen entfalle auch nicht deswegen, weil der Betriebsratsvorsitzende dieses Amt bereits seit 2018 ausübe. Zwar sei es vorstellbar, dass er sich in Ausübung seines Amts gewisse Fähigkeiten für dessen Wahrnehmung angeeignet habe. Derartige praktische Erfahrungen könnten jedoch die Teilnahme an der Schulung, die sowohl rechtliches Wissen als auch arbeitsorganisatorische Kompetenzen und schließlich in erforderlichem Umfang kommunikationspsychologische Kenntnisse vermittele, nicht ersetzen.

Die Teilnahme an den Schulungen sei auch nicht deshalb nicht erforderlich, weil nach den Vorstellungen des Arbeitgebers der Betrieb demnächst in einen größeren Betrieb eingegliedert werden solle, womit der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter perspektivisch ihr Amt verlieren (würden). Zum einen stünde dieser Zeitpunkt aktuell noch nicht konkret fest und bis dahin seien diese im Amt und benötigten hierfür die in den Schulungen zu vermittelnden Kenntnisse. Diese Kenntnisse würden zum anderen sodann noch zur Wahrnehmung des Restmandats nach § 21b BetrVG benötigt. Es könne also nicht davon ausgegangen werden, dass das zu schulende Betriebsratsmitglied in seiner verbleibenden Amtszeit das in den streitgegenständlichen Schulungen vermittelte Wissen nicht mehr benötigte.

Ermessen bei der Auswahl des Seminaranbieters

Der Betriebsrat hat nach Auffassung des LAG auch bei der Auswahl der streitgegenständlichen Schulungsveranstaltungen den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten, indem er sich für einen Seminarveranstalter (Anbieter „D“) entschieden hat, der seine Schulungen nicht am Sitz des Betriebs anbietet, so dass Reise- und Übernachtungskosten entstehen, die bei der Entscheidung für den anderen Anbieter („F“) nicht angefallen wären.

Bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme stehe dem Betriebsrat ein Beurteilungsspielraum zu. Wegen des in § 2 Abs. 1 BetrVG normierten Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit müsse der Betriebsrat bei der Prüfung der Erforderlichkeit die betriebliche Situation und die mit dem Besuch der Schulungsveranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers berücksichtigen und darauf zu achten, dass der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür aufzuwendenden Mitteln steht. Der Betriebsrat sei allerdings nicht gehalten, anhand einer umfassenden Marktanalyse den günstigsten Anbieter zu ermitteln und ohne Rücksicht auf andere Erwägungen auszuwählen. Sein Beurteilungsspielraum beziehe sich auch auf den Inhalt der Schulungsveranstaltung. Nur wenn mehrere gleichzeitig angebotene Schulungen auch nach Ansicht des Betriebsrats im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums als qualitativ gleichwertig anzusehen sind, könne eine Beschränkung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auf die Kosten der preiswerteren Veranstaltung in Betracht kommen.

Die Entscheidung für „D“ und gegen „F“ hatte der Vorsitzende im Anhörungstermin vor dem LAG wie folgt begründet: „Ich war auch schon bei einem Seminar von F. Demgegenüber war es bei D für mich aber positiver.“ Diese Begründung reichte dem LAG aus. Es hänge nämlich jedenfalls auch von subjektiven Einschätzungen des Teilnehmers ab, welches Angebot unterschiedlicher Veranstalter ihm besser geeignet erscheint. Hierbei könne es auch von Bedeutung sein, welcher Referent mit welchen didaktischen Arbeitsmethoden das Wissen vermittelt hat. Häufig werde es dann ein eher subjektives Empfinden sein, welche Art und Weise der Wissensvermittlung dem Teilnehmer eher zusagt. Aus diesem Grund halte sich die Auswahl des Seminarveranstalters noch im Rahmen des dem Betriebsrat zustehenden Beurteilungsspielraums.

Keine Vorfinanzierung der Schulung durch das Betriebsratsmitglied

Das Betriebsratsamt ist ein unentgeltliches Ehrenamt, weshalb die Betriebsratsmitglieder erforderliche Kosten der Betriebsratsarbeit nicht vorfinanzieren müssten. Auch diese Tatsache spricht aus Sicht des LAG dafür, im vorliegenden Fall die Eilbedürftigkeit zu bestätigen. Das gilt sowohl für den Betriebsrat als Gremium, als auch für das an der betreffenden Schulungsveranstaltung teilnehmende Betriebsratsmitglied.

Denn der Betriebsrat als solcher sei aufgrund seiner eingeschränkten Vermögensfähigkeit gar nicht in der Lage, Schulungsveranstaltungen vorzufinanzieren. Ist die Teilnahme an der Betriebsratsschulung erforderlich im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG, könne daher nicht nur die Freistellung von der Arbeitspflicht im Betrieb im Wege einer einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden, sondern auch die Freistellung von den anfallenden Seminar-, Unterkunfts- und Reisekosten, stellt das LAG unter Verweis auf eine frühere Entscheidung aus dem Jahr 2019 (14. Februar 2019 – 16 TaBVGa 24/19) ausdrücklich klar.

Fazit

Die vorgestellte Entscheidung stellt keine wegweisend neuen Rechtsgrundsätze auf. Sie beleuchtet allerdings sehr anschaulich die typischen Konfliktthemen, die im Streit stehen, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat sich nicht auf die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an bestimmten Schulungsveranstaltungen einigen können. Daher lohnt es sich für beide Seiten, sich mit der Entscheidung vertraut zu machen. Aus Sicht eines Betriebsrats kann die Entscheidung zudem durchaus als Ermutigung angesehen werden, eine Streitigkeit über die Schulung von Betriebsratsmitgliedern häufiger im Wege der einstweiligen Verfügung entscheiden zu lassen.