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Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Antisemitismus und Rassismus - Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit Rechtsanwälte Ulrich Weber & Partner mbB erstreiten hohe Entschädigung

Urteile, in denen es um eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geht, gibt es inzwischen reichlich. Gemeinsam ist diesen Fällen, dass die den Kläger:innen zugesprochenen Entschädigungszahlungen in aller Regel bei max. 3 Bruttomonatsgehältern liegen. Urteile, die über diesen Rahmen hinausgehen, finden sich dagegen selten. Eine erfreuliche Ausnahme bildet hier die Entscheidung des Arbeitsgerichtes München vom 28.04.2021, Aktenzeichen: (12 Ca 4896/20). Der Partner der Kanzlei, Herr Rechtsanwalt Carsten Kohles berichtet von einem Fall, den wir für unseren Mandanten gewinnen konnten.

Worum ging es konkret?

Der Arbeitnehmer (im Folgenden AN), angestellt bei der B-GmbH und jüdischen Glaubens, hatte im Februar 2020 aufgrund einer bevorstehenden Terminkollision eine Meinungsverschiedenheit mit dem Geschäftsführer der B-GmbH. AN vertrat dabei die Auffassung, dass er bei einem der beiden Termine (der in London stattfinden sollte) ohnehin keinen sinnvollen Beitrag werde leisten können, da es dort in erster Linie um technische Umsetzungsfragen gehen werde. Selbst der Kunde habe ihm gegenüber bestätigt, dass seine Anwesenheit bei diesem Termin nicht erforderlich sei. Sinnvoller sei es daher, wenn er den anderen Termin (in Deutschland) wahrnehmen würde.

Daraufhin tätigte der Geschäftsführer sinngemäß die folgende (und im Wesentlichen unstreitige) Aussage: „Bei solchen Terminen wird auch immer viel zwischen den Zeilen gesprochen. Aufgrund deiner jüdischen Listigkeit wäre es daher gut, wenn du an diesem Termin teilnehmen würdest, um den Deal zum Abschluss zu bringen. Dies liegt ja in eurer DNA." (Streitig war hierbei, ob der Geschäftsführer „jüdische Listigkeit“ oder „jüdische Gerissenheit“ verwendet hatte).

Der Arbeitgeber reagiert:

AN wandte sich noch am gleichen Tage an den europaverantwortlichen Personalleiter in London und berichtete über den Vorfall. Der Kläger wurde daraufhin aufgefordert, seine Arbeit zunächst vom Home-Office aus zu erbringen, bis man den Sachverhalt durch eine hausinterne Befragung im Münchener Büro aufgeklärt habe.

Als Ergebnis dieser Untersuchung wurde dem Geschäftsführer die Personalverantwortung für sein Team entzogen. Er wurde außerdem zur Teilnahme an zwei Seminaren zu den Themen „Diversität und Inklusion“ sowie „AGG“ verpflichtet und er erhielt ein Schreiben, dass derartige Aussagen, selbst wenn sie nicht als Beleidigung sondern positiv gemeint gewesen seien, vollkommen inakzeptabel wären.

AN erhielt (wie auch die anderen Mitarbeiter des Büros in München) als Konsequenz einen neuen Vorgesetzten. Dieser neue Vorgesetzte führte als erste Amtshandlung ein Leistungsmanagement für den AN mittels konkreter Zielsetzungen und Leistungsbewertungen ein, dem seine übrigen Kollegen aus München allerdings nicht unterworfen wurden. Zudem wurde AN aufgefordert, ab sofort ein professionelles Verhalten gegenüber dem Geschäftsführer an den Tag zu legen, da die gemeinsame Arbeit den Erfolg im täglichen Kundengeschäft zwingend voraussetze.

Der Arbeitnehmer zieht vor Gericht:

AN traute seinen Ohren kaum und machte daraufhin einen Entschädigungsanspruch gegenüber der Gesellschaft geltend. Nachdem man den Anspruch abgelehnt hatte, erhob er Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 50.000,00 €, was in etwa 7 Bruttomonatsgehältern entsprach.

Die B-GmbH stellte sich im Verfahren auf den Standpunkt, es läge schon keine Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit des Klägers vor. So habe der Geschäftsführer seine Äußerung nämlich keinesfalls „diskriminierend" verstanden wissen wollen. Vielmehr sei diese sogar als Kompliment und in Anerkennung für das Verhandlungsgeschick des AN gemeint gewesen. Dass sich der Geschäftsführer hierbei „unglücklich ausgedrückt“ habe, ändere nichts daran, dass es schon am subjektiven Merkmal einer gewollten Diskriminierung fehle.

Selbst wenn man die Äußerung des Geschäftsführers aber nach objektiven Kriterien als diskriminierend auffassen wolle, müsse gleichwohl Berücksichtigung finden, dass die Gesellschaft umgehend reagiert habe. So habe sie dem Kläger zu seinem eigenen Schutz (und zur Deeskalation) gestattet, die Arbeit zunächst bis auf Weiteres von zu Hause aus erbringen zu können. Zudem habe man den Geschäftsführer für zwei Seminare angemeldet, um ihn noch einmal entsprechend für das Thema zu sensibilisieren. Und zu guter Letzt habe man auch schriftlich darauf hingewiesen, dass derartige Aussagen, selbst wenn sie anerkennend gemeint wären, inakzeptabel seien. Damit habe die B-GmbH alles umgesetzt, was ihr an Möglichkeiten zur Verfügung gestanden habe, um auf den Sachverhalt angemessen zu reagieren.

Den Ausspruch einer Kündigung habe man dabei ebenfalls geprüft, sich aber gegen eine solche Maßnahme entschieden. Da der Geschäftsführerdienstvertrag ordentlich nicht kündbar gewesen sei, hätte man nämlich allenfalls eine fristlose Kündigung aussprechen können. Die Gefahr, dass eine solche fristlose Kündigung dann aber vor Gericht als unwirksam erachtet werde, habe man als ausgesprochen hoch eingestuft. Dies deshalb, da der Vertrag des Geschäftsführers  nur noch eine Laufzeit bis zum Oktober 2020 hatte, also das Ende des Vertrages ohnehin demnächst anstand.

Das Gericht entschied:

Dies sah die 13. Kammer des Arbeitsgerichtes München komplett anders und verurteilte die B-GmbH, eine Entschädigung in Höhe von 50.000,00 € (umgerechnet etwa sieben Bruttogehälter) zu zahlen. Das Arbeitsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen zunächst einmal festgehalten, dass die (im Wesentlichen unstreitige) Aussage des Geschäftsführers anhand ihres objektiven Aussagegehaltes zu beurteilen sei und nicht anhand der Frage, ob der Geschäftsführer auch subjektiv eine diskriminierende Handlung habe vornehmen wollen oder nicht. Anhand dieses (objektiv betrachteten) Maßstabes könne kein Zweifel daran bestehen, dass es sich um eine Diskriminierung des Klägers aufgrund seiner Religionszugehörigkeit gehandelt habe. Die Aussage ihres Geschäftsführers müsse sich die beklagte Gesellschaft auch zurechnen lassen, wobei erschwerend zu berücksichtigen sei, dass die Aussage hier durch das gesetzliche Vertretungsorgan der Gesellschaft erfolgt sei.

Liege eine diskriminierende Handlung aufgrund eines der im AGG benannten Merkmale vor, so obliege es grundsätzlich dem Arbeitgeber (und nicht der diskriminierten Person) zu entscheiden, mit welchen Sanktionsmaßnahmen er hierauf reagieren wolle. Die Palette der Maßnahmen kann dabei von der einfachen Ermahnung bis zur fristlosen Kündigung reichen, je nachdem, wie gravierend die diskriminierende Handlung war. In besonderen Ausnahmefällen sei dieses Ermessen jedoch derart eingeschränkt, dass die einzige angemessene Reaktion des Arbeitgebers darin bestehe, das Arbeits-/Dienstverhältnis fristlos zu kündigen.

 Und ein solcher extremer Ausnahmefall liege hier vor.

Die 13. Kammer führt zunächst aus, dass ihr kein Fall bekannt ist, bei dem eine diskriminierende Äußerung aufgrund der Religionszughörigkeit auch nur annähernd den Unrechtsgehalt aufweise, wie er der Aussage des Geschäftsführers entnommen werden könne. Die vom Geschäftsführer getätigte Aussage erinnere unmittelbar an die übelsten, nationalsozialistischen Stereotypen. Dies werde durch den Bezug auf die DNA zudem noch verstärkt. Wenn die B-GmbH schließlich ausführe, man (der Geschäftsführer) habe dies doch lediglich „anerkennend“ gemeint, werde der Belästigung auch noch eine Verhöhnung hinzugefügt und die durch die Aussage enthaltene Belästigung im Ergebnis sogar verstärkt. Die einzige angemessene Reaktion hierauf hätte daher in dem Entzug des Geschäftsführeramtes, bzw. der Versetzung in eine andere Filiale bestehen müssen. Zumindest aber hätte die B-GmbH den Geschäftsführer bis zum Ablauf des Vertrages im Oktober 2020 freistellen müssen. Oder um es mit den Worten des Arbeitsgerichtes zusammen zu fassen: „Es stellt sich die Frage, welche Äußerung ein Geschäftsführer noch tätigen muss, um einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zu setzen.“

Von all diesen denkbaren Reaktionsmöglichkeit habe die B-GmbH allerdings (nach ihren eigenen Ausführungen) deshalb Abstand genommen, weil sie das (wirtschaftliche) Risiko einer unwirksamen Kündigung als zu hoch beurteilt habe. Da der Geschäftsführer die Aussage im Februar 2020 tätigte und dessen Dienstvertrag noch eine Laufzeit bis zum 31. Oktober 2020 hatte, hätte für die B-GmbH im Falle einer Freistellung also eine finanzielle Mehrbelastung (oder bei einer fristlosen Kündigung ein Prozessrisiko gegenüber dem Geschäftsführer) in Höhe von ca. acht Bruttomonatsgehältern bestanden.

Da das Gericht davon ausgehen könne, dass das Gehalt des Geschäftsführers über dem Gehalt des Klägers liege, sei die eingeforderte Schadenshöhe (in Höhe von ca. sieben Bruttomonatsgehältern seines Gehaltes) nicht zu beanstanden. Denn damit liege die geforderte Entschädigung noch unter der Summe, die der Geschäftsführer durch die Fortführung seines Vertrages erhalten habe. Und wenn die B-GmbH meine, das Verhalten des Geschäftsführers nicht durch eine fristlose Kündigung oder zumindest dessen sofortige Freistellung sanktionieren zu wollen, um nicht in die Gefahr zu laufen, für 8 Monate ein Geschäftsführergehalt ohne Gegenleistung zu schulden, sei auch die vom Kläger geforderte Höhe der Entschädigung nicht zu beanstanden. Andernfalls würde der vom Gesetzgeber geforderten Sanktionswirkung auch nicht ausreichend Rechnung getragen und die B-GmbH (zumindest in finanzieller Hinsicht) auch noch für ihr Verhalten belohnt.

Fazit:

Die (inzwischen rechtskräftige) Entscheidung des Arbeitsgerichtes München ist (abgesehen davon, dass sie eine der höchsten jemals zugesprochenen Entschädigungszahlungen zuspricht) deswegen von besonderer Bedeutung, da sie neue Kriterien benennt, anhand derer sich die Höhe einer Entschädigungszahlung bemessen lässt. Denn zumindest dann, wenn die einzige angemessene Reaktion in der Kündigung, bzw. Freistellung des diskriminierenden Kollegen (oder Vorgesetzten, bzw. Geschäftsführers) besteht, kann zur Ermittlung der Schadenshöhe auf dessen Gehalt (und Kündigungsfrist, bzw. restliche Vertragslaufzeit) zurückgegriffen werden.

Das Urteil liefert zum einen Anhaltspunkte, wie für einen höheren Entschädigungsanspruch nach den Vorschriften des AGG argumentiert werden kann. Zum anderen zeigt es auf, wie wichtig eine gut organisierte und geschulte Compliance-Abteilung für Unternehmen ist. Auch Betriebsräte werden diese Entscheidung mit großem Interesse verfolgen.

Carsten Kohles, Rechtsanwalt

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