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Nach dem Paukenschlag: Das Ende von Vertrauensarbeitszeit, agilem Arbeiten und jeder Flexibilität? New Work vor dem Ende?

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 – hat große Wellen geschlagen. Sie wurde teilweise als „Paukenschlag“ bezeichnet. Andere wiederum sprachen der Entscheidung jegliche Relevanz ab. Der Paukenschlag und New Work, wie passt das zusammen? Rechtsanwalt Henning Meier nimmt dazu Stellung.

 

Eine gute Zusammenfassung der Entscheidung lieferte hier jüngst der Kollege Dr. Frank Dahlbender im Rahmen unseres Blogs. Tatsächlich ist die Entscheidung insofern ein Paukenschlag, als dass festgestellt wird, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits jetzt aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) hergeleitet werden muss. Das heißt, bereits jetzt ist es Stand des Gesetzes, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmer*innen geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

 

Wenn man sich mit den Themen New Work, agilem Arbeiten und Flexibilisierung der Arbeit näher beschäftigt, hat man nach der Entscheidung den Eindruck, dass viele Autor*innen durch die Entscheidung ein Ende der neuen Arbeitsmethoden und der neuen Arbeitswelt (New Work) befürchten. Aber ist dies wirklich so?

 

Der Flexibilisierung von Arbeitszeit stehen und standen schon seit längerer Zeit die Regeln des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) und des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) entgegen. Insbesondere die Fragen der Höchstarbeitszeit von täglich maximal acht Stunden, der regelmäßigen Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstagen in Höhe von elf Stunden sowie die gesetzlichen Mindestpausenzeiten, verhindern, dass eine vollständige Flexibilisierung der Arbeitszeit stattfindet. Dies ist aber bereits geraume Zeit der Stand des Gesetzes und hat nichts mit der vorgenannten Entscheidung des BAG zu tun. Vielmehr geht es dabei um den Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden.

 

Betrachten wir einzelne Punkte von New Work etwas genauer.

 

Was ist denn eigentlich „Vertrauensarbeitszeit“?

 

Weitestgehend wird darunter verstanden, dass die Arbeitnehmer/innen ihre Arbeitsverpflichtung selbstbestimmt erfüllen können, ohne dass die Erfüllung der Arbeitsverpflichtung durch die Arbeitgeberseite kontrolliert wird. Oftmals können die Mitarbeiter*innen dann auch die Lage und Verteilung ihrer Arbeitszeit unter Berücksichtigung der Unternehmensinteressen selbst bestimmen. Die Arbeitgeberseite vertraut also darauf, dass die Arbeitnehmerseite ihrer Verpflichtung nachkommt, ohne dass dies kontrolliert wird.

 

Ist die Vertrauensarbeitszeit nun nicht mehr möglich?

 

Natürlich ist sie weiterhin möglich. Selbstverständlich kann weiter auf die genaue Kontrolle der Erfüllung der Arbeitsverpflichtung der Arbeitnehmer*innen verzichtet werden. Das heißt, in den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes können Arbeitnehmer*innen weiterhin selbstbestimmt im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit tätig werden. Die Arbeitgeberseite muss allerdings ein System schaffen, dass grundsätzlich eine Zeiterfassung sicherstellt. Diese kann aber – jedenfalls nach aktuellem Gesetzesstand – auch durch die Arbeitnehmerseite selbst erfolgen, in dem diese die Arbeitszeit selber erfasst. Auch kann eine digitale Zeiterfassung erfolgen, ohne dass eine ständige Kontrolle dessen erfolgt. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Jahr 2019, mit der bereits zuvor festgehalten wurde, dass Arbeitgeber die gesamte Arbeitszeit erfassen und hierfür ein objektives, verlässliches Zugangssystem schaffen müssen, ist es ausreichend, wenn stichprobenartige Kontrollen durchgeführt werden (EuGH, 14.05.2019 – C-55/18; Schrader NZA 2019, 1035 ff.).

 

„Die Paukenschlag-Entscheidung ist das Ende von agilem Arbeiten“. Auch dies ist ein Zitat, das nach der Entscheidung mehrfach gefallen ist. Es zeigt aber ein falsches Verständnis von agilem Arbeiten. Richtig ist, dass zu den Prinzipen von Agilität und auch bei den Methoden der Agilität Selbstorganisation und Selbstbestimmung der Mitarbeitenden eine große Rolle spielen. Dies ist aber durchaus auch innerhalb der Grenzen des Arbeitszeitrechts weiterhin möglich. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung erfordert nicht, in klassischen Führungschemata zu denken und eine klassische Führung von oben herab vorzunehmen.

 

Wer bislang agiles Arbeiten, Vertrauensarbeitszeit oder eine Flexibilisierung der Arbeit als Arbeiten ohne Arbeitszeitgrenzen und ohne Arbeitsschutzgrenzen verstanden hat, lag auch vorher schon falsch. Dies war auch vor der „Paukenschlag-Entscheidung“ nicht möglich. Das Arbeitszeitgesetz muss dringend für mehr Flexibilität novelliert werden, ohne den Schutz der Arbeitnehmer*innen auszuhöhlen. New Work und ein Arbeiten auf der Höhe der Zeit, insbesondere agile Methoden und ein moderner Führungsstiel sind aber auch mit der Paukenschlagentscheidung und dem aktuellen Recht weiterhin möglich. New Work erfordert gerade, dass ich auch den Arbeitsschutz ernst nehme und transparent hierzu bin. Auch “flexible” Betriebsvereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber sind möglich. Sie brauchen aber fachkundige Verhandlung.

Warum New Work und Betriebsrat ein gutes Paar sind, verrate ich in diesem Blog in kürze.

Henning Meier, Rechtsanwalt

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