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Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Ziel verfehlt!

Der Gesetzgeber hat zum 1. Januar 2023 die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAUB) eingeführt. Sie soll die bisherige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform er­setzen. Hauptmotiv für die Abschaffung des „Scheins“ war der Abbau von Bürokratie durch die Digitalisierung des Übermittlungsweges und auch die Vermeidung von Papier sowie die Schaffung von mehr Transparenz. Hat die Einführung die gewünschten Erleichterungen gebracht? Ist die eAUB ein Erfolg? Herr Rechtsanwalt Herberth aus Stuttgart unternimmt den Praxistest.

In der Theorie war der vom Gesetzgeber gewählte Weg recht einfach, die Praxis zeigt aller­dings, dass auch hier Deutschland im Zeitalter der Digitalisierung nicht richtig angekommen ist. In der Praxis gibt es nämlich zahlreiche Übermittlungsprobleme, die vielschichtige Ursa­chen haben.

Zwar wurden bis Ende März bereits 21 Millionen digitale Krankmeldungen von Arbeitgebern abgerufen, allerdings kommt es vermehrt zu technischen Problemen. Dabei ist nicht erkenn­bar, liegt dieses an der Software, an der Krankenkasse oder am Arzt, der überhaupt nichts übermittelt hat. So lässt sich bisher jedenfalls kein Bürokratieabbau erkennen, vielmehr hat der KBV-Bürokratieindex festgestellt, dass jeder Vorgang circa 50 Sekunden länger dauert und dieses auf das Jahr betrachtet ungefähr 1,2 Millionen Stunden mehr Bürokratie alleine in den Arztpraxen bedeutet. Die Arztpraxen kritisieren dabei, dass es für sie ein großer Auf­wand sei, die AU entweder dem Patienten mitzugeben oder sie richtig zu übermitteln. Auch die Arbeitgeber kritisieren, dass sie die Krankmeldung bei den Kassen abrufen müssen und sie nicht automatisch zugestellt bekommen. Dagegen sind die Krankenkassen der Auffas­sung, aus Datenschutzgründen könnten die eAUB`s nicht automatisch an die Arbeitgeber verschickt werden.

Die Idee einer elektronischen Krankmeldung ist vom Grundsatz her richtig. Allerdings sollten schnellstmöglich die Störungen abgeschafft werden, damit in der Praxis dem Ziel des Gesetz­gebers genüge getan wird.

An dieser Stelle soll nochmals die bisherige Regelung, die Regelung seit dem 1. Januar 2023 und die sich daraus ergebenden Störungen durch die Praxis näher erörtert werden.

Nach § 5 Abs. 1 EFZG sind Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähig­keit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen (Meldepflicht). Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zu­sätzlich eine AU-Bescheinigung in Papierform vorgelegt werden, wobei die Arbeitgeber diese Vorlage auch früher verlangen können (Vorlagepflicht).

Bei Verletzung der Vorlagepflicht konnte der Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 EFZG die Entgelt­fortzahlung verweigern.

Seit dem 1. Januar 2023 ist die Vorlagepflicht aus § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG für gesetzliche versi­cherte Arbeitnehmer entfallen. Der Gesetzgeber hat insoweit die §§ 5 Abs. 1 a) EFZG, 109 SGB IV, § 295 Abs. 1 Nr. 1 SGB V neu gefasst. Danach muss der gesetzlich versicherte Arbeit­nehmer seine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer ärztlich feststellen lassen. Der Arzt übermittelt die Daten dann elektronisch an die jeweilige Krankenkasse des Patien­ten. Die Krankenkasse erstellt ihrerseits zeitnah eine Meldung, die der Arbeitgeber dann elektronisch abrufen kann. Eine AU-Bescheinigung in Papierform wird dem Arbeitnehmer nur noch zu Beweiszwecken ausgestellt. Die Arbeitgeber haben keinen Anspruch mehr auf diese AU-Bescheinigung.

Den neuen Ablauf kann man gut in drei Schritten festhalten:

 

Schritt 1: Wie bisher informieren die Arbeitnehmer unverzüglich den Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit (Meldepflicht aus § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG).

 

Schritt 2: Die Arbeitnehmer müssen spätestens nach Ablauf des dritten Krankheitsta­ges ihre Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen lassen und die Ärzte die dazugehörigen Daten mit qualifizierter elektronischer Signatur versehen und an die zuständige ge­setzliche Krankenkasse übermitteln. Die Arbeitnehmer erhalten weiterhin eine Pa­pierausfertigung der AU-Bescheinigung, diese dient aber nur noch zu Beweiszwecken, wenn es zu Übermittlungsfehlern oder zu sonstigen Störfällen kommt.

 

Schritt 3: Die Arbeitgeber erhalten von den Krankenkasse eine Benachrichtigung dar­über, dass die eAUB vorliegt und anschließend ist der Arbeitgeber eigenständig ver­pflichtet, die eAUB elektronisch anzurufen.

Die Frage ist, wie mit Störfällen umzugehen ist, wenn beispielsweise aus Sicht des Arbeitge­bers keine eAUB vorliegt, weil der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit gar nicht hat fest­stellen lassen oder die Arztpraxis diese nicht übermittelt hat oder die Krankenkasse die Mel­dung zum elektronischen Abruf nicht erstellt hat.

Nach der Regelung konnte sich insoweit der Arbeitgeber auf § 7 EFZG berufen und die Ent­geltfortzahlung verweigern und darüber hinaus auch den Arbeitnehmer abmahnen.

Der Gesetzgeber hat jedoch übersehen, § 7 EFZG anzupassen. Es fehlt ein Hinweis auf § 5 Abs. 1 a) EFZG. Daher stellt sich die Frage, ob § 7 EFZG dennoch anzuwenden ist. Hier wird die Auffassung vertreten, § 7 EFZG sei analog anzuwenden. Der Arbeitgeber könne daher un­ter Berufung auf § 7 EFZG die Entgeltfortzahlung zurückhalten. Sobald allerdings der Arbeit­nehmer dann beispielsweise die ihm zu Beweiszwecken übergebene Arbeitsunfähigkeitsbe­scheinigung dem Arbeitgeber vorlege, müsse dieser dann rückwirkend die Entgeltfortzahlung leisten. Auch eine entsprechende Abmahnung sei unwirksam, wenn den Arbeitnehmer kein Verschulden an der Übermittlung der eAUB treffe.

In der Praxis wird darüber hinaus auch die Auffassung vertreten, dass zwar aus § 5 Abs. 1 a) EFZG sich keine Pflicht des Arbeitnehmers ergebe, in Ausnahmefällen die Arbeitsunfähigkeit in Papierform nachzuweisen. Allerdings ergebe sich eine Verpflichtung als Nebenpflicht i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB. Hierbei handelt es sich um die allgemeine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Allerdings würde damit die gesetzliche Regelung vollständig wieder ausge­hebelt werden.

Etwas anderes ist es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, weil er keine elektronische Meldung erhalten hat, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorzulegen. Dies dürfte dann geboten sein.

Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber noch durch Verbesserung der gesetzlichen Nor­men reagiert oder die Rechtsprechung wieder für Klarheit sorgen muss. Für die Praxis noch wichtiger ist es, dass die technischen Probleme schnellstmöglich beseitigt werden, sodass das angedachte Ziel mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch erreicht werden kann.

Heinz Herberth, Rechtsanwalt

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