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Kanzlei-Blog Ulrich Weber & Partner

Die Rechtzeitige Unterrichtung des Betriebsrats und die Bedeutung des Wortes "vor"

Möchte der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer versetzen, so muss er zuvor den zuständigen Betriebsrat anhören und um Zustimmung bitten. Dabei kann der Begriff der „Versetzung“ sowohl eine räumliche Veränderung als auch die Zuweisung ganz oder teilweiser neuer Aufgaben umfassen. Aufgabe des Betriebsrats ist es dann, zu prüfen, ob diese Versetzung für den Betroffenen oder für andere Arbeitnehmer zu Nachteilen führt, die in Abwägung mit den Interessen des Arbeitgebers nicht gerechtfertigt sind. So sagt es § 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).

Der Gesetzeswortlaut spricht dabei ausdrücklich davon, dass der Arbeitgeber dieses Anhörungs- und zustimmungsverfahren „vor“ jeder Versetzung durchführen muss.

Falls der Betriebsrat die vom Arbeitgeber begehrte Zustimmung nicht innerhalb einer Woche erteilt, sieht das Gesetz für den Arbeitgeber durchaus Möglichkeiten vor, die Versetzung zumindest vorläufig durchzuführen, wenn er sich an ein bestimmtes Procedere hält und neben dem Betroffenen auch den Betriebsrat entsprechend informiert (§ 100 Abs. 1 BetrVG). Unverzichtbare Voraussetzung ist aber, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat „vor“ der Versetzung informiert hat.

Gegen eine mitbestimmungswidrig durchgeführte Versetzung gibt § 101 BetrVG wiederum dem Betriebsrat ein Mittel in die Hand, den Arbeitgeber zur Aufhebung der Versetzung zu zwingen, sofern die Rechtsauffassung des Betriebsrats gerichtlich bestätigt wird.

In einem Beschluss in einem betriebsverfassungsrechtlichen Verfahren, datierend vom 11. Oktober 2022 (Az. 1 ABR 18/21), dessen ausführliche Begründung kürzlich veröffentlicht worden ist, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) noch einmal daran erinnert, welche Bedeutung es dem Wort „vor“ in dem gesamten Kontext der §§ 99 bis 101 BetrVG beimisst. Diese wichtige Entscheidung und die Folgen für die Praxis fasst Rechtsanwalt Christian Kaiser hierzusammen.

 

Sachverhalt

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Im Zuge einer Umgestaltung seiner Betriebsorganisation versetzte der Arbeitgeber einige vom ihm (wohl fälschlicherweise) als leitende Angestellte angesehene Abteilungsleiter auf Leitungspositionen in anderen Abteilungen, ohne zuvor den bei ihm gebildeten Betriebsrat beteiligt zu haben. Auf Antrag des Betriebsrats verpflichtete das Arbeitsgericht Siegburg den Arbeitgeber, die Versetzungen aufzuheben. Gegen diesen Beschluss legte der Arbeitgeber Beschwerde bei dem Landesarbeitsgericht (LAG) Köln ein.

Bevor das LAG rechtskräftig über die Beschwerde entscheiden konnte, unterrichtete der Arbeitgeber den Betriebsrat darüber, dass er die Versetzungen zurücknehme und ihn, den Betriebsrat, vor der beabsichtigten erneuten Versetzung mit der Bitte um Zustimmung gem. § 99 Abs. 1 BetrVG beteilige. Im Lauf des gerichtlichen Verfahrens trug der Arbeitgeber später vor, ab diesem Zeitpunkt seien die Abteilungsleiter nicht mehr wie zuvor „endgültig“ in ihren jeweiligen neuen Positionen beschäftigt worden, sondern nur noch „vorläufig“ im Sinne von § 100 Abs. 1 BetrVG. Dies habe er durch die Rücknahme der ursprünglichen Versetzungen deutlich gemacht. Dazu habe es weder eines tatsächlichen Wechsels des Arbeitsplatzes der betroffenen Arbeitnehmer noch einer entsprechenden Kommunikation ihnen gegenüber bedurft.

Weil der Betriebsrat seine Zustimmung zu den Versetzungen der Abteilungsleiter nicht erteilen wollte, rief nun der Arbeitgeber das Arbeitsgericht Siegburg an und beantragte, die Zustimmung des Betriebsrats gerichtlich zu ersetzen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Arbeitgebers allerdings als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Arbeitgeber habe den Betriebsrat nicht fristgemäß und nicht ordnungsgemäß zu den Versetzungen angehört. Die betreffenden Arbeitnehmer seien nämlich ohne irgendeine zeitliche Zäsur ununterbrochen weiter beschäftigt worden. Soweit der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitgeteilt habe, dass er die ursprünglichen Versetzungen „zurückgenommen“ habe, liege darin keine Rückgängigmachung der Maßnahmen im Sinne eines tatsächlichen Arbeitsplatzwechsels. Nicht einmal für eine „logische Sekunde“ habe der Arbeitgeber die Maßnahme tatsächlich erkennbar rückgängig gemacht.

Auf die erneute Beschwerde des Arbeitgebers erteilte dann zwar das LAG Köln die fehlende Zustimmung des Betriebsrats, aber in letzter Instanz stellte sich das BAG auf die Seite des Betriebsrats und teilte die rechtliche Bewertung des Arbeitsgerichts Siegburg.

 

Entscheidung des BAG

Zur Begründung seiner Entscheidung verweist das BAG zunächst vollkommen zutreffend auf den Gesetzeswortlaut, dem sich sogar wörtlich entnehmen lässt, dass die Anhörung des Betriebsrats „vor“ Durchführung der Versetzung erfolgen muss.

Auch der Zweck des Mitbestimmungsrechts mache es grundsätzlich erforderlich, dass die Beteiligung des Betriebsrats zu einer Zeit erfolgt, zu der noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden ist oder eine solche zumindest noch ohne Schwierigkeiten revidiert werden kann.

Diesem Zweck könne der Arbeitgeber aber nicht mehr gerecht werden, wenn er die (vielleicht versehentlich mitbestimmungswidrig) bereits durchgeführte Versetzung faktisch aufrecht erhalte und den Betriebsrat zwar förmlich anhöre, ohne aber den mitbestimmungswidrigen Zustand zumindest vorrübergehend zu beseitigen.

Dabei macht das BAG deutlich, dass der Arbeitgeber pro Versetzung natürlich nicht nur eine einzige Chance hat, einen mitbestimmungskonformen Zustand herzustellen. Erkennt er während eines bereits laufenden gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens einen von ihm begangenen Fehler, so ist er berechtigt, einen neuen Versetzungsvorgang nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beginnen.

Auch ist es ihm unbenommen, nach (rechtskräftigem) Unterliegen in einem solchen Verfahren die auf das gleiche Ziel gerichtete personelle Maßnahme erneut zu beschreiten.

Der Arbeitgeber kann den Betriebsrat erforderlichenfalls mehrmals hintereinander um Zustimmung zur Einstellung oder Versetzung desselben Arbeitnehmers auf denselben (neuen) Arbeitsplatz ersuchen. Er kann dementsprechend mehrere Zustimmungsersetzungsverfahren nacheinander oder auch zeitlich parallel bei Gericht anhängig machen, weil sie trotz des gleichen Rechtsschutzziels prozessual unterschiedliche Verfahrensgegenstände haben.

In allen Fällen sei es allerdings stets erforderlich, dass der Arbeitgeber von seiner ursprünglichen Maßnahme tatsächlich Abstand genommen und eine neue eigenständige Versetzung eingeleitet hat.

Dafür ist Voraussetzung, dass der Arbeitgeber die Maßnahme tatsächlich aufhebt. Es genügt nicht, wenn er den Betriebsrat lediglich nachträglich um Zustimmung zur bereits (endgültig) vorgenommenen Versetzung ersucht oder nur mitteilt, er nehme die Versetzung „zurück“ und führe sie nunmehr nur noch „vorläufig“ durch.

Das hatte das LAG Köln in seinem vorangegangenen Beschluss noch anders gesehen. Es hat die Auffassung vertreten, die tatsächliche Rückgängigmachung der Versetzung wäre, falls organisatorisch nach der Änderung der Unternehmensstruktur überhaupt noch möglich, eine „pure Förmelei“ gewesen, die vom Zweck des Mitbestimmungsrechts nicht gefordert ist, wenn der Arbeitgeber wie hier das Verfahren nach §§ 99, 100 BetrVG einleitet.

Demgegenüber weist das BAG entschieden darauf hin, dass es dem Zweck des § 101 BetrVG zuwider laufen würden, wenn der Arbeitgeber den durch den endgültigen Vollzug der personellen Maßnahme begründeten betriebsverfassungswidrigen Zustand durch bloße Nachholung der Betriebsratsbeteiligung beseitigen könnte. Denn § 101 BetrVG solle dem Betriebsrat ein Werkzeug an die Hand geben, welches gewährleistet, dass der Arbeitgeber Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats achtet und die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung einhält. Dieser Zweck sei nur erreichbar, wenn der Arbeitgeber im Fall einer unterbliebenen Beteiligung ein ordnungsgemäßes Zustimmungsersuchen nur dann an den Betriebsrat richten kann, wenn er zuvor die ursprüngliche (mitbestimmungswidrig durchgeführte) Maßnahme tatsächlich aufhebt.

 

Konsequenzen für die Praxis

Mit der vorgestellten Entscheidung bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung.

Zwar könnte man meinen, der Gesetzeswortlaut sei ohnehin eindeutig („vor jeder […] Versetzung zu unterrichten“).

Gleichwohl hat das LAG Köln unter Verweis auf eine prominente Literatur-Meinung dieses Beharren auf einem strikten zeitlichen Ablauf des Beteiligungsverfahrens für irrelevant („bloße Förmelei“) erklärt, wenn sich der Arbeitgeber jedenfalls nach der mitbestimmungswidrigen Durchführung der Versetzung quasi freiwillig der gerichtlichen Überprüfung unterwirft.

Daher ist es für die Praxis hilfreich, dass das BAG einerseits an seine strikte Interpretation des Gesetzeswortlauts erinnert und gleichzeitig darauf hinweist, dass es nicht zwingend erforderlich ist, in einem derartigen Fall, den Arbeitnehmer auf den vorherigen, mitbestimmungskonformen Arbeitsplatz zurückzuversetzen. Entscheidend sei lediglich, dass der mitbestimmungswidrige Zustand beseitigt wird, wozu es ausreicht, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht mehr auf dem mitbestimmungswidrigen Arbeitsplatz beschäftigt wird.

Sofern der mitbestimmungskonforme Arbeitsplatz in Folge einer Reorganisation aber faktisch nicht mehr vorhanden ist, wird der Arbeitgeber den Anforderungen des BAG nur dann genügen können, wenn er den betroffenen Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr beschäftigt. Dass ein solcher Zustand zu weiteren, diesmal individualrechtlichen Konsequenzen führen kann (Stichwort „Beschäftigungsanspruch“), steht auf einem anderen Blatt.

 

Hinweis

Ebenfalls am 11. Oktober 2022 (1 ABR 16/21) hat das BAG eine ähnliche Konstellation entschieden, in der der Arbeitgeber eine zu besetzende Stelle nicht intern ausgeschrieben hatte und diese Ausschreibung erst im Rahmen des gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens nachholte, nachdem der Betriebsrat seine Zustimmung zur Versetzung gerade wegen der unterbliebenen internen Ausschreibung verweigert hatte. In diesem zweiten Verfahren stellte sich das Gericht auf den Standpunkt, dass jedenfalls eine innerbetriebliche Stellenausschreibung gem. § 93 BetrVG nicht sinnvoll nachgeholt werden könne, nachdem der Arbeitgeber seine Besetzungsentscheidung schon betroffen hat.

In Fällen, in denen der Betriebsrat zwar vor der Versetzung angehört wurde, seine Zustimmung aber wegen einer unvollständigen Unterrichtung verweigert hat, kann der Arbeitgeber grundsätzlich auch noch im Zustimmungsersetzungsverfahren die fehlenden Informationen erteilen. Dabei muss für den Betriebsrat allerdings erkennbar sein, dass der Arbeitgeber die Angaben auch deshalb vervollständigt, weil er seiner ggf. noch nicht vollständig erfüllten Unterrichtungspflicht aus § 99 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG nachkommen möchte.

Die Vorschrift des § 93 BetrVG ermöglicht es dem Betriebsrat, im Interesse der von ihm vertretenen Belegschaft durch die Bekanntmachung freier Stellen den innerbetrieblichen Arbeitsmarkt zu aktivieren. Die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer sollen Gelegenheit erhalten, sich auf die zu besetzenden Arbeitsplätze zu bewerben. Zudem zielt die Norm darauf ab, für die Belegschaft eine erhöhte Transparenz von betrieblichen Vorgängen zu schaffen und so einer Irritation über die Hereinnahme Außenstehender trotz im Betrieb vorhandener personeller Ressourcen entgegenzuwirken.

Erfolgt die innerbetriebliche Stellenausschreibung erst, nachdem der Arbeitgeber seine Entscheidung über die Stellenbesetzung getroffen und sie dem Betriebsrat mit der Bitte um Zustimmung unterbreitet hat, ist nicht gleichermaßen gewährleistet, dass diese Ziele erreicht werden. Schon die Kundgabe einer Besetzungsentscheidung gegenüber dem Betriebsrat birgt die Gefahr, dass den (übrigen) Arbeitnehmern des Betriebs der Eindruck vermittelt wird, der Arbeitgeber habe die – aus seiner Sicht – am besten geeignete Person für die zu besetzende Stelle bereits ausgewählt. Das kann zur Folge haben, dass sie bei einer späteren Ausschreibung von einer eigenen Bewerbung absehen, weil sie ihr keinen Erfolg einräumen. Durch eine bloße Nachholung der Ausschreibung könnten daher die gesetzlichen Ziele, den innerbetrieblichen Arbeitsmarkt zu aktivieren und die Transparenz des Stellenbesetzungsvorgangs zu gewährleisten, beeinträchtigt werden.

Mit dem Beschluss beantwortet der 1. Senat eine bislang offengelassene Frage.

Fazit

In der Konsequenz kann man festhalten, dass der Arbeitgeber grundsätzlich sehr wohl die Möglichkeit hat, Fehler im Anhörungsverfahren nach § 99 BetrVG noch nachträglich zu heilen und das unter Umständen sogar noch im gerichtlichen Verfahren.

Allerdings hat diese Regel auch die hier vorgestellten praxisrelevanten Ausnahmen, die unterstreichen, wie wichtig es für Arbeitgeber ist, das Verfahren nach § 99 BetrVG sorgfältig vorzubereiten und durchzuführen, um nicht später Schiffbruch zu erleiden.

 

Christian Kaiser, Fachanwalt für Arbeitsrecht